Allgemeines
Ärztliche Versorgung
Der Deutsche Ärztetag hat mit seinen Beschlüssen vom 121. Ärztetag im Jahr 2018 eine Lockerung des Fernbehandlungsverbots in § 7 der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä) dergestalt vorgenommen, dass eine ausschließliche Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien im Einzelfall erlaubt ist, wenn dies ärztlich vertretbar ist, die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird. In der Folge ist es zu einer sukzessiven Lockerung des ausschließlichen Fernbehandlungsverbots in den Berufsordnungen der Landesärztekammern (Ausnahme: Landesärztekammer Brandenburg) gekommen.
Die Regelung in § 7 Abs. 4 MBO-Ä erlegt nun den Ärzten die Pflicht auf, im konkreten Einzelfall zu entscheiden, ob eine Fernbehandlung mit dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse vereinbar ist.
Mit dem Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) vom 8. Juni 2021 wurde der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beauftragt, Regelungen für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der ausschließlichen Fernbehandlung zu treffen (§ 92 Abs. 4a SGB V).
Der G-BA hat die geänderten berufsrechtlichen Vorgaben aufgegriffen und ihnen Rechnung getragen, indem mit Beschluss vom 16. Juli 2020 Regelungen zur Fernbehandlung in die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie aufgenommen wurden.
Zuvor war noch die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Einzelfall im Rahmen der Videosprechstunde nur unter der Voraussetzung möglich, dass ein Kontakt unter persönlicher Anwesenheit vorausgegangen war. Eine ausschließliche Fernbehandlung (unbekannter) Versicherter wurde für eine Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht vorgesehen.
Die neue Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie legt nun fest, dass im Rahmen einer Videosprechstunde die erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bei nicht unmittelbar persönlich bekannten Versicherten nicht über einen Zeitraum von bis zu drei Kalendertagen und bei unmittelbar persönlich bekannten Versicherten nicht über einen Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen hinausgehen soll.
Eine Folgefeststellung soll nicht vorgenommen werden, wenn die erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der ausschließlichen Fernbehandlung erfolgt ist. Infolgedessen kann das Fortbestehen dieser Arbeitsunfähigkeit nur im Wege einer Präsensuntersuchung festgestellt werden (§ 92 Abs. 4a Satz 2 SGB V).
Laut G-BA gelte allerdings weiterhin als Standard für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit die unmittelbare persönliche Untersuchung durch eine Ärztin oder einen Arzt. Die Entscheidung, ob die Erkrankung eine hinreichend sichere Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen einer Videosprechstunde zulässt, liegt bei der Ärztin bzw. dem Arzt. Ein Anspruch des Versicherten auf die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit innerhalb einer ärztlichen Untersuchung im Rahmen einer Videosprechstunde besteht nicht.
Führen Ärzte Videosprechstunden und Telekonsilien durch, gilt dabei jedoch ein grundsätzliches Verbot der Werbung mit Fernbehandlungen (Urteil des OLG München, Az.: 6 U 5180/19). Die Bewerbung von Angeboten mit Fernbehandlungen als Arzt-Erstkontakt bleibt weiterhin unzulässig. Für telemedizinische Behandlungen erhalten Ärzte eine gesonderte Vergütung nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM). Die im EBM enthaltenen Begrenzungsregelungen wurden für die Geltungsdauer der Corona-Sonderregelungen vorübergehend ausgesetzt (siehe Themenbereich „Einsatz von digitalen Lösungen zur Vermeidung von persönlichen Kontakten während der Coronavirus SARS-CoV-2- Pandemie“). Mit dem DVPMG hat der Gesetzgeber in § 87 Abs. 2a Satz 30f. SGB V die Anpassung der bestehenden Begrenzungsregelungen für Videosprechstunden von bisher 20 Prozent auf 30 Prozent beauftragt. Diese neue Obergrenze gilt nun ab dem 1. April 2022 (Beschluss des Bewertungsausschusses in seiner 589. Sitzung).
Psychotherapeutische Leistungen
In Abgrenzung zu den ärztlichen Beratungen und Behandlungen sind die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Erbringen von psychotherapeutischen Leistungen differenziert zu betrachten. Die berufsrechtlichen und vertragsrechtlichen Bedingungen stellen sich wie folgt dar:
Die berufsrechtlichen Vorgaben zur Fernbehandlung für Psychologische Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sind in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt. In etwa der Hälfte der Bundesländer ist eine ausschließliche Fernbehandlung grundsätzlich zulässig. In der anderen Hälfte ist eine ausschließliche Fernbehandlung nur in Rahmen von Modell- bzw. Forschungsprojekten zulässig, die von der zuständigen Psychotherapeutenkammer genehmigt worden sind.
In der Gesetzlichen Krankenversicherung sind für psychotherapeutische Leistungen als untergesetzliche Vorgaben die Psychotherapie-Richtline des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und die Psychotherapie-Vereinbarung zwischen dem GKV-Spitzenverband und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung maßgeblich.
Mit Änderung der Psychotherapie-Vereinbarung zum 1. Oktober 2021 ist nun geregelt, dass psychotherapeutische Leistungen über Videokonferenzen nur durch diejenige Therapeutin oder denjenigen Therapeuten erbracht werden können, die oder der die Versicherte oder den Versicherten auch im unmittelbaren persönlichen Kontakt behandelt. Therapeutin oder Therapeut und Versicherte oder Versicherter sollen sich grundsätzlich in örtlicher Nähe zueinander befinden. Die Therapeutin oder der Therapeut haben sicherzustellen, dass die Behandlung bei gegebener Notwendigkeit im unmittelbaren persönlichen Kontakt durchgeführt werden kann (§ 17 Abs. 6 Psychotherapie-Vereinbarung).
In der Aufsichtspraxis hat das BAS bereits ein geplantes Versorgungsvorhaben nach § 140 a SGB V geprüft und rechtliche Bedenken geäußert, da dies eine ausschließliche Fernbehandlung vorsah. In diesem Fall sind die Therapeuten oder Therapeutinnen nicht regelmäßig in örtlicher Nähe zu den Versicherten verortet, so dass bei gegebener Notwendigkeit die Behandlung nicht im unmittelbaren persönlichen Kontakt fortgesetzt werden kann.
In Bezug auf Sonderregelungen zur Anwendung von Psychotherapie in der vertragsärztlichen Versorgung aufgrund der SARS-CoV-2- Pandemie verweisen wir auf die Ausführungen in dem Abschnitt „Einsatz von digitalen Lösungen zur Vermeidung von persönlichen Kontakten während der Coronavirus SARS-CoV-2- Pandemie-Krise“.
Heilmittel
Mit Inkrafttreten des DVPMG am 9. Juni 2021 erhalten Versicherte auch einen Rechtsanspruch auf telemedizinisch erbringbare Heilmittelleistungen (§ 32 SGB V). Die Vertragspartner auf Bundesebene - der GKV-Spitzenverband und die maßgeblichen Berufsverbände der Heilmittelerbringenden - wurden beauftragt, bis zum 31. Dezember 2021 die notwendigen Details zu klären (siehe auch § 125 Abs. 2a SGB V). Festzulegen ist insbesondere, welche Heilmittel bei welchen Erkrankungen als telemedizinische Leistung (per Video) infrage kommen können und welche technischen Vorgaben einzuhalten sind.
Nach Auslaufen der Corona-Sonderregelungen konnten für die Heilmittelbereiche Physiotherapie und Ernährungstherapie telemedizinische Leistungen durch Ergänzungen in den Verträgen nach § 125 Abs. 1 SGB V zwischen dem GKV-Spitzenverband und den jeweiligen Berufsverbänden in die Regelversorgung überführt werden.
Die technischen Voraussetzungen für die Erbringung telemedizinischer Leistungen gemäß § 125 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 SGB V wurden in der neuen Anlage 8 (Physiotherapie) bzw. Anlage 7 (Ernährungstherapie) zum jeweiligen Vertrag nach § 125 Abs. 1 SGB V geregelt.
Die Regelungen sind am 1. April 2022 in Kraft getreten.
Für die Stimm-, Sprech-, Sprach-und Schlucktherapie sowie die Ergotherapie konnte keine Einigung zwischen den Vertragspartnern erzielt werden, so dass die Vereinbarung zu telemedizinischen Leistungen noch immer Teil eines Schiedsverfahrens ist.
Um den gesetzlichen Leistungsanspruch der Versicherten dennoch umzusetzen, haben sich die Vertragspartner nach § 125 SGB V auf eine Übergangsvereinbarung verständigt, die zum 1. September 2022 in Kraft trat und bis zur Festsetzung der Regelungen durch die Schiedsstelle gilt. In der Übergangsvereinbarung werden telemedizinische Leistungen als synchrone Kommunikation zwischen einem Leistungserbringer und einer oder einem Versicherten oder seiner Bezugs- /Betreuungspersonen im Wege einer Onlinebehandlung per Videoübertragung in Echtzeit verstanden. Aufgezeichnete Videofilme oder digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) stellen keine Behandlung dar. Die Therapie im unmittelbaren persönlichen Kontakt ist weiterhin der etablierte fachliche Standard für die Durchführung der Heilmittelbehandlung. In der Gesamtbetrachtung dürfen daher nur 30 % der Leistungen in einem Kalenderjahr telemedizinisch erbracht werden. In Präsenz sind ebenfalls die Erst- und Bedarfsdiagnostik sowie die erste Therapieeinheit abzugeben (siehe auch Rundschreiben des GKV-SV RS 2022/524 vom 31. August 2022) .
Für den Bereich Podologie kommen telemedizinische Leistungen nicht in Betracht.
Hebammenleistungen
Darüber hinaus eröffnet das DVPMG auch Leistungen der Hebammenhilfe im Wege der Videobetreuung. Die Regelungen hierzu sind in den Verträgen zur Versorgung mit Hebammenhilfe zu treffen (§ 134a Abs. 1d SGB V). Die Verhandlungen zur Ergänzung des Hebammenvertrages dauern noch an.
Arzneimittelversorgung
Mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV, Inkrafttreten 16. August 2019) haben die Ärzte die Möglichkeit erhalten, bei einer ausschließlichen Fernbehandlung auch das hiermit verbundene Rezept auszustellen (§ 48 Arzneimittelgesetz [AMG]).
Das Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) verpflichtet die Ärzte und Zahnärzte in
§ 360 Abs. 2 SGB V ab dem 1. Januar 2022 Verordnungen von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln elektronisch auszustellen (eRezept). Das DVPMG sieht außerdem vor, dass sukzessive auch weitere Verordnungen nur noch elektronisch vorgenommen werden. So sollen z.B. ab dem 1. Juli 2024 Verordnungen von häuslicher Krankenpflege und ab dem 1. Juli 2026 auch Verordnungen von Heilmitteln und Hilfsmitteln grundsätzlich nur noch elektronisch erfolgen.
Da die für die Ausstellung und Verarbeitung von eRezepten erforderliche Technik bis heute noch nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung steht und aufgrund weiterer datenschutzrechtlicher Auflagen (Stand: 3. Januar 2023) wird das Einlösen von elektronischen Rezepten mit der elektronischen Gesundheitskarte erst ab Sommer 2023 möglich sein. Ab dem 1. September 2022 war die Umstellung auf die Nutzung des eRezepts in den (Zahn-) Arztpraxen und Krankenhäusern nach einem regional und zeitlich gestuften Verfahren („ eRezept- Rollout“) geplant. Doch der Rollout, der in Westfalen-Lippe beginnen sollte, musste ausgesetzt werden. Zwar sind ab dem 1. September 2022 auch die Apotheken flächendeckend in ganz Deutschland verpflichtet, eRezepte einzulösen und mit den Krankenkassen abzurechnen. Jedoch bleibt unter den gegebenen Umständen abzuwarten, bis wann die Entwicklung notwendiger technischer Lösungen abgeschlossen sein wird und das eRezept bundesweit in den (Zahn-) Arztpraxen und Krankenhäusern für die Verordnung von Arzneimitteln genutzt werden kann.
Die telemedizinischen Weiterentwicklungen gewinnen zunehmend auch im Bereich der Pflegeversicherung an Bedeutung. Das DVPMG ermöglicht hier beispielsweise die Ergänzung der Pflegeberatung einer anspruchsberechtigten Person um barrierefreie digitale Angebote der Pflegekassen, sofern dies gewünscht wird.
Auch im Rahmen von Selektivverträgen erwartet der Gesetzgeber eine Ausweitung von telemedizinischen Dienstleistungen (vgl. BT-Drs. 19/13438, S. 59 zum DVG). Das BAS prüft bei der Bewertung von telemedizinischen Leistungsangeboten der Krankenkassen, ob die Vorhaben mit den in den jeweiligen Berufsordnungen der Länder enthaltenen Regelungen zur Fernbehandlung im Einklang stehen. Beispielsweise hat die Corona-Pandemie zu einer gesteigerten Nachfrage nach Psychotherapie geführt. Viele Krankenkassen versuchen durch besondere Versorgungsverträge mit psychotherapeutischen Leistungen Engpässe der Regelversorgung auszugleichen. Allerdings sind diesen Versorgungsvorhaben vertragsarztrechtliche und abhängig vom Bundesland berufsrechtliche Grenzen gesetzt. Zudem dürfen die psychotherapeutischen Leistungen regelmäßig nicht in ausschließlicher Fernbehandlung erbracht werden.
In der Aufsichtspraxis achtet das BAS darauf, dass die Verantwortung für die Frage, ob ein Behandlungsfall telemedizinisch durchgeführt werden kann, dem jeweiligen Arzt obliegt.
Bei telemedizinischen Angeboten stellen sich neben datenschutzrechtlichen Fragen auch Fragen der Vereinbarkeit von Leistungsangeboten mit dem Zulassungs- und Berufsrecht. Das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) und das DVPMG stärken maßgeblich die Anwendung von Telemedizin. Nicht zuletzt in Zeiten wie der Corona-Pandemie zeigen sich die Vorteile einer digitalen Kommunikation.
(Stand: 23.08.2022)