Digitaler Kundenservice und automatisierte Sachbearbeitung
Digitaler Kundenservice und automatisierte Sachbearbeitung

Dunkelverarbeitung von Anträgen

Hier erläutert am Beispiel von Kinderkrankengeld nach § 45 SGB V.

Das Treffen von Entscheidungen (Erlass von Verwaltungsakten) durch automatisierte Einrichtungen ist nach § 31a Satz 1 SGB X möglich, wenn kein Anlass besteht, den Einzelfall durch Amtsträger zu bearbeiten. Eine Bearbeitung durch Amtsträger hält der Gesetzgeber zwingend für erforderlich, wenn das anzuwendende materielle Recht eine Ermessensentscheidung oder einen Beurteilungsspielraum vorsieht oder wenn die Subsumtion unter einen konkreten Tatbestand nicht durch automatisierte Einrichtungen erfolgen kann. Als Fallkonstellation, bei denen eine Einzelfallbetrachtung erforderlich ist, gelten u.a. Sachverhalte, bei denen medizinische Ermittlungen durchzuführen oder zu würdigen sind.

Nach § 31a Satz 2 SGB X hat die Behörde bei Einsatz von automatisierten Einrichtungen zum Erlass von Verwaltungsakten, auch Dunkelverarbeitung genannt, die für den Einzelfall bedeutsamen tatsächlichen Angaben der Beteiligten zu berücksichtigen, die im automatischen Verfahren nicht ermittelt würden. Angaben der Antragstellenden müssen immer vollumfänglich in den Entscheidungsprozess mit einfließen. Im Sinne eines rechtstaatlichen Verfahrens haben folglich auch bei vollautomatisierten Verwaltungsakten die übrigen Regelungen des SGB X, wie beispielsweise der Untersuchungsgrundsatz nach § 20 SGB X oder die Anhörungspflicht nach § 24 SGB X, Anwendung zu finden. Ablehnende Entscheidungen können demnach nicht vollautomatisiert erfolgen, wenn vor Erlass des Bescheides eine Anhörung nach § 24 SGB X erforderlich ist.

Werden im Antragsverfahren Formulare mit Freitextfeldern zur Verfügung gestellt und sind diese befüllt und/oder sind die darin anzugebenden Inhalte für die Entscheidung zwingend erforderlich, kann die Entscheidung nicht vollautomatisiert getroffen werden. In diesen Fällen ist wiederum eine Betrachtung des Einzelfalls notwendig.

Eine vollautomatisiert getroffene Entscheidung darf zudem nicht dazu führen, dass die Rechte der Versicherten beschnitten werden. Kann z.B. systemseitig nicht sichergestellt werden, dass der zu erlassende Bescheid eine ausreichende Begründung enthält, ist eine vollautomatisierte Bescheiderteilung nicht möglich.

Darüber hinaus ist vor der Entschließung, ob vollautomatisierte Entscheidungen durch automatisierte Einrichtungen vorgenommen werden sollen, zu prüfen, ob der Einsatz wirtschaftlich ist.

Hat die im Rahmen der Dunkelverarbeitung getroffene Entscheidung eine Zahlung zur Folge, sind die Anforderungen an die Sicherheit im Rechnungswesen zu beachten. Die in §§ 40 ff. SRVwV und Anlage 9 zur SRVwV genannten Dokumentationen (Verfahrensdokumentation, Gefährdungsanalyse und Ordnungsmäßigkeitskonzept) sind zu erstellen und dienen als Grundlage für eine Dienstanweisung nach § 17 SVRV und § 40 SRVwV. Hierzu steht Hilfsmaterial auf den Internetseiten des BAS zur Verfügung (Rundschreiben vom 22. Juni 2020 „Anforderungen an IT-gestützte Verfahren des Rechnungswesens zur Ersetzung von Schriftformerfordernissen“ sowie der Leitfaden des Prüfdienstes „Elektronische Kommunikation und Digitalisierung in der Sozialversicherung“).

Zudem sind die Verantwortlichkeiten für die Sachbearbeitung, die Rechnungssachbearbeitung und den Zahlungsverkehr zu trennen und jeweils unterschiedlichen Bereichen zuzuweisen. Damit wird eine gegenseitige Kontrolle der Bereiche ermöglicht und möglichen Manipulationen vorgebeugt. Die bei einer analogen Bearbeitung zu fordernden, bereichsübergreifenden Funktionstrennungen dieser drei Bereiche müssen auch bei automatisierter (oder teilautomatisierter) Bearbeitung im Sinne der gleichwertigen Sicherheit des elektronischen Verfahrens nachvollzogen werden.

Konkret hat sich der Digitalausschuss mit der Frage beschäftigt, ob die Entscheidung zur Leistung „Kinderkrankengeld“ vollautomatisiert erfolgen kann.

Bei der Leistung Kinderkrankengeld handelt es sich nicht um eine Ermessensentscheidung, da gemäß § 45 SGB V ein Rechtsanspruch im Sozialgesetzbuch verankert ist. Ein Beurteilungsspielraum ist ebenfalls zu verneinen, da sich der Leistungsanspruch und auch die Höhe des Auszahlbetrages von nachweispflichtigen Dokumenten wie beispielsweise einer ärztlichen Bescheinigung (Muster 21 - www.kbv.de/media/sp/Muster_21.pdf) oder Verdienstbescheinigung ableitet.

Der vollständig automatisierte Erlass von Verwaltungsakten in der Leistungsart Kinderkrankengeld ist somit grundsätzlich möglich, wenn es sich nicht um einen Antrag nach § 45 Abs. 4 SGB V handelt. Bei Prüfung eines Antrages nach § 45 Abs. 4 SGB V sind medizinische Aspekte zu würdigen, wodurch der automatisierte Erlass von Verwaltungsakten ausgeschlossen wird.

Erfolgt ein automatisierter Erlass des Verwaltungsaktes muss sichergestellt sein, dass bei Überschreiten der Höchstanspruchsdauer oder der Altersgrenze keine automatische Ablehnung des Antrages erfolgt, sondern diese Fälle einer manuellen Bearbeitung zugeführt werden.

Im Ergebnis bleibt festzustellen, dass den Krankenkassen eine Dunkelverarbeitung in bestimmten Fallkonstellationen möglich ist. Sie müssen dabei jedoch die ihnen obliegenden Pflichten beachten.

(Stand: 14.12.2023)