Rundschreiben KV
07. Oktober 2020

Gesetzliche Krankenversicherung – Wettbewerb

An
alle bundesunmittelbaren Krankenkassen
nachrichtlich
BMG
Aufsichtsbehörden der Länder
GKV-Spitzenverband

Information über das Urteil des BSG vom 30. Juli 2019 (Az: B 1 KR 16/18 R) und die Neuregelung in § 4a SGB V

Sehr geehrte Damen und Herren,

durch dieses Schreiben möchten wir Sie mit der Bitte um Beachtung über Auswirkungen des Urteils des BSG vom 30. Juli 2019 und die Neuregelung des § 4a SGB V informieren.

1. Rabatte Dritter / Absatzförderung
Den Krankenkassen steht grundsätzlich die Möglichkeit offen, sich und ihre Aktivitäten den potentiellen Versicherten darzustellen. Nach § 30 Abs. 1 SGB IV dürfen die Versicherungsträger ausschließlich Geschäfte zur Erfüllung ihrer gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgaben führen und ihre Mittel nur für diese Aufgaben sowie die Verwaltungskosten verwenden.

Das BSG hat in seinem Urteil ausgeführt, dass die Vermittlung von Rabatten bei Dritten durch Krankenkassen selbst dann unzulässig ist, wenn es sich um Rabatte mit Gesundheitsbezug handelt. Es gehört nicht zu den Aufgaben einer gesetzlichen Krankenkasse nach § 30 SGB IV, ihren Versicherten Rabatte bei Dritten zu vermitteln. Auch die Förderung des Absat-zes bestimmter Unternehmen ist nach den Ausführungen des BSG nicht zulässig. Die Zusammenarbeit einer Krankenkasse mit Dritten, die bestimmte Waren oder Dienstleistungen anbieten, ist nur dann zulässig, wenn es sich sachlich und nach dem personellen Zuschnitt um gesetzlich oder satzungsmäßig vorgesehene Leistungen der jeweiligen Krankenkasse handelt. Außerhalb des gesetzlich geregelten Aufgabenbereichs der Krankenkassen sind Werbemaßnahmen unzulässig (BSG a.a.O. Rn. 21).

a. Gewinnspiele
Eine Vielzahl an Kooperationen zwischen gesetzlichen Krankenkassen und privaten Unternehmen, die keine Leistungserbringer im Sinne des SGB V sind, dienen lediglich der Absatzförderung Dritter und widersprechen damit § 30 SGB IV. Auch die Kooperationen zwischen Krankenkassen und privaten Unternehmen für Preisausschreiben sind hiernach unzulässig. Ziel der Werbemaßnahme des Preisausschreibens ist die Vermittlung von Rabatten / Sachpreisen bei Dritten und die Ausnutzung des Prestiges des Sponsors, um hiermit das eigene Image der Krankenkasse zu pflegen. Auch von der Krankenkasse selbst beschaffte Preise dienen der Absatzförderung zu Gunsten eines Herstellers/Unternehmens und sind demzufolge
unzulässig.

b. Aufwandsentschädigung an Laienwerber in Form einer Sachprämie / Gutschein
Grundsätzlich kann eine Aufwandsentschädigung für das Anwerben von Neumitgliedern an sog. Laienwerber gezahlt werden. Die Festlegung einer Krankenkasse auf bestimmte Sachprämien hingegen dient der Absatzförderung zu Gunsten eines bestimmten Unternehmens oder Herstellers und widerspricht der Regelung des § 30 SGB IV.

Bei der Bewerbung von Sachprämien oder Gutscheinen bestimmter Unternehmen wird durch die Krankenkassen unter Ausnutzung ihrer Autorität als Körperschaft des öffentlichen Rechts in den Wettbewerb der Unternehmen eingegriffen. Dies ist grundsätzlich keine Aufgabe einer gesetzlichen Krankenkasse. Die Abgabe von Produkten bestimmter Hersteller stellt eine Absatzförderung zugunsten der Hersteller oder Lieferanten dieser Produkte dar.

Der Aufgabenbereich der Krankenkasse endet im Falle der Gewährung der Aufwandsentschädigung mit der Zahlung an den Laienwerber. Die Aufwandsentschädigung in Form einer Sachprämie/Gutschein auszuloben, ist unzulässig.

c. Online vermittelte Rabatte Dritter / Absatzförderung
Auch in digitalen Anwendungen zur Bewegungsmotivation o.ä. ist die Vermittlung von Rabatten bei Dritten unzulässig. Auch hier darf sich die Krankenkasse nicht zu Gunsten eines bestimmten Anbieters positionieren und damit dessen Absatz fördern.

2. Neuregelung des § 4a SGB V
Mit Inkrafttreten des Gesetzes für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-FKG) wurden für den Wettbewerb unter den gesetzlichen Krankenkassen weitere und neue Regeln aufgestellt. Das Bundesministerium für Gesundheit ist ermächtigt, das Nähere über die Zulässigkeit von Werbemaßnahmen durch Rechtsverordnung nach § 4a Abs. 4 SGB V zu regeln.

Ohne einer solchen Rechtsverordnung vorzugreifen, weisen wir mit diesem Schreiben aufeinige wesentliche, unmittelbar aus dem Gesetz folgende Neuerungen hin:

a. Sachbezogene Information
Werbemaßnahmen der gesetzlichen Krankenkassen sind nur in bestimmten Grenzen zulässig. So normiert § 4a Abs. 3 Satz 2 SGB V, dass bei Werbemaßnahmen die sachbezogene Information im Vordergrund stehen muss. Darüber hinaus hat die Werbung in einer Form zu erfolgen, die mit der Eigenschaft der Krankenkasse als Körperschaft des öffentlichen Rechts unter Berücksichtigung ihrer Aufgaben vereinbar ist.

Werbemaßnahmen, die der reinen Marken- und Imagewerbung dienen sowie den Bekanntheitsgrad der Krankenkasse steigern sollen, ohne jegliche Information über Versorgungs- und Serviceleistungen zu vermitteln, sind unzulässig (BT-Drs. 19/15662, S. 69).

b. Risikoselektion
Maßnahmen, die der Risikoselektion dienen oder diese unmittelbar oder mittelbar fördern, sind unzulässig, § 4a Abs. 1 Satz 3 SGB V. Allen wahlberechtigten Versicherungspflichtigen und Versicherungsberechtigten ist unabhängig von ihrem individuellen Gesundheitszustand
der Zugang zu sämtlichen wählbaren Krankenkassen zu eröffnen. Maßnahmen der Krankenkassen, die gezielt auf die Gewinnung von Versicherten mit besonders niedrigem Krankheitsrisiko gerichtet sind, oder dazu dienen, Versicherte, die hohe Kosten verursachen, zum Wechsel in eine andere Krankenkasse zu bewegen, sind unzulässig (BT-Drs. 19/15662, S. 68).

3. Anwendbarkeit des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb
Unlautere geschäftliche Handlungen von Krankenkassen sind unzulässig, § 4a Abs. 2 SGB V Der Begriff der Unlauterkeit verweist auf die Maßstäbe des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Die im UWG aufgestellten Verhaltensregeln gelten für gesetzliche Krankenkassen als Mindeststandards (BT-Drs. 19/15662, S. 68). Werbemaßnahmen dürfen daher insbesondere nicht irreführend sein.

4. Unterlassungsanspruch
Nach § 4a Abs. 7 SGB V können Krankenkassen von anderen Krankenkassen die Beseitigung und Unterlassung unzulässiger Maßnahmen verlangen, die geeignet sind, ihre Interessen im Wettbewerb zu beeinträchtigen. Der bisherige Anspruch auf Unterlassung unzulässiger
Werbung (§ 4 Abs. 3 SGB V a.F.) wird nunmehr auf sämtliche Maßnahmen erweitert, die geeignet sind, die Interessen anderer Krankenkassen im Wettbewerb zu beeinträchtigen.

Die unzulässige Maßnahme muss einen Bezug zum Wettbewerb der Krankenkassen untereinander aufweisen. Dies können u.a. Satzungsleistungen, Wahltarife, Bonusprogramme, Selektivverträge sowie die Vermittlung von privaten Zusatzversicherungen sein. Darüber hinaus
kann auch die Einflussnahme auf das ärztliche Kodierverhalten oder die nachträgliche Änderung von Diagnosen, die unzulässige Anlage von Rücklagemitteln in Aktien oder die verbotene Aufnahme von Darlehen einen Wettbewerbsbezug haben, so dass hieraus ein Unterlassungsanspruch
resultieren könnte.

Diese Auflistung ist nicht abschließend. Der Unterlassungsanspruch schließt die parallele Anrufung der zuständigen staatlichen Aufsichtsbehörde zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der streitigen Maßnahme nicht aus.

Gemäß § 29 Abs. 2 Ziffer 5 SGG sind Rechtstreitigkeiten nach § 4a Abs. 7 SGB V den Landessozialgerichten zugeordnet.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Beckschäfer